Uiuiui, da ist jetzt vieles drin. Ich werde mal versuchen, eines nach dem anderen "abzuarbeiten" und zu beantworten.
Das einfachste zuerst: Auf der Internetseite stehen die ersten vier Kapitel des Buches. Lies doch zuerst mal die (druck sie Dir ggf. aus), dann weißt Du, ob sich die Ausgabe lohnt. Ja, es ist nicht billig. Hast Du grad zufällig demnächst Geburtstag? Dann lass es Dir schenken. ![]()
Ja, Ritzen ist eine Krankheit, es ist eine Suchtkrankheit. Ich bin da jetzt beileibe kein Fachmann, aber es gibt wohl zwei Arten von Sucht (und das gilt für Alkohol, für Nikotin, für andere mehr oder weniger harte Drogen usw.): Zum einen ist da der Körper, der sich an diese Substanz gewöhnt hat und daher mehr davon haben will. Eine Art Hunger, wie auch beim Essen. Diese Art Sucht gibt es wohl beim Ritzen nicht. Das andere ist aber eine psychische Abhängigkeit. In ganz geringem Maße wäre das nur eine Gewohnheit (und wenn Du jemals versucht hast, Dir eine langjährige Gewohnheit abzugewöhnen, dann weißt Du schon, wie schwer DAS ist). Du bist diese Art zu handeln gewöhnt und tust es daher wieder, weil es Dir "gut" tut. Raucher, die nach dem Essen oder in der Kneipe in Gesellschaft rauchen ist so ein ganz typisches Beispiel. Oder eben wenn sie unter Streß stehen sich eine anzünden. Das ist die Art Abhängigkeit, die auch beim Ritzen entsteht. Du hast was das betrifft nicht mehr wirklich einen freien Willen. Du kannst ja auch den nächsten Atemzug nicht wirklich vermeiden, Du kannst ihn nur hinauszögern. Die "Sucht" nach frischer Atemluft ist einfach stärker. Das ist zwar jetzt sicherlich ein Vergleich, bei dem sich jedem Psychologen die Haare sträuben
, aber so wird es hoffentlich anschaulich.
Es gibt Menschen, die sich darauf trainieren, die Luft immer länger und länger anzuhalten, vor allem im Tauchsport. Vielleicht hast Du soetwas schon mal im Fernsehen gesehen. So ähnlich musst Du es auch machen, Du musst Dir das Ritzen abtrainieren. Im Gegensatz zum Atmen ist das Ritzen nichts, was der Körper wirklich braucht, auch wenn er das momentan glaubt (bzw. Deine Seele/Psyche glaubt das). Deswegen kannst Du Dir das Ritzen mit der Zeit auch ganz abtrainieren, Dich entwöhnen. Du kennst vielleicht auch Raucher, die immer weniger Rauchen wollen, bis sie schließlich ganz aufhören. Ist die selbe Methode. Es gibt andere Raucher, die "auf einen Schlag" aufhören. Was für wen die beste Methode ist, muss jeder selber wissen. Du bist anscheinend nicht der Typ dafür, um von jetzt auf gleich zu sagen: "Nie wieder!" Also versuche es Stück für Stück. Versuche die Zeiten zwischen zwei Ritzungen hinauszuzögern. Versuche die Dauer abzukürzen oder weniger tief zu ritzen, die Schnitte nicht so lang zu machen. (Da komme ich jetzt an die Grenzen dessen, was ich über das Ritzen weiß.) Belohne Dich, wenn Du es geschafft hast, mal nicht zu ritzen nach einer Situation, wo Du es normalerweise tun würdest. Mache Dir kleine Versprechungen: "Wenn ich es schaffe, heute/diese Woche (ich habe ja keine Ahnung, wie oft Du Dich ritzt) nicht zu ritzen, dann gehe ich mit meinem Freund ins Kino (als Beispiel)." Und versprich diese Belohnung nicht nur, sondern tu das dann auch wirklich. (versprich also nicht zu viel. *g*) So dass Deine Psyche merkt, hey, es macht Spaß, wenn ich es schaffe nicht zu ritzen. Du musst die Sucht überlisten, immer und immer wieder, bis sie nachläßt und Du tatsächlich davon weg bist. Und dann musst Du vor allem zu Anfang aufpassen, dass Du Dich nicht zu sicher fühlst und rückfällig wirst. Wie ein Ex-Raucher, der doch wieder anfängt. Oder ein Alkoholiker, der es nicht schafft, trocken zu bleiben. In gewisser Weise wird das immer eine (geringe) Gefahr bleiben, jedenfalls eine größere als für jemanden, der nie geritzt hat. Aber Du wirst lernen, auf Dich aufzupassen und es zu vermeiden, es zu beherrschen.
Schade dass die Telefonseelsorge eine Enttäuschung für Dich war.
Ich erkläre es mir so, dass sie eben täglich sehr viele Leute betreuen muss und daher ihre Kraft und Aufmerksamkeit einteilen. Außerdem - wie lange schreiben wir beide schon zusammen, wieviele Stunden? Da hat es jemand, der ein, zwei, drei Stunden Zeit hat ziemlich schwer mitzuhalten.
Und nicht zuletzt, dieses fehlende persönliche Interesse wird jemand, der nicht hochsensibel ist wie wir kaum bis gar nicht bemerken.
Eine Gemeinschaft, die Jugendlichen hilft...da bin ich auf Anhieb ziemlich ratlos. Eine Jugendgruppe, evtl. von einem kirchlichen Träger. Irgendetwas, wo auch Sozialarbeiter beteiligt sind, wie in einem Jugendhaus oder so. Ich wohne nicht in einer Stadt, noch nicht mal in einem größeren Ort, daher kenne ich sowas nicht. Aber da wirst Du auch keine Einzelbetreuung bekommen wie von mir. Die kriegst Du nur in einer Psychotherapie/Einzeltherapie. Wärest Du erwachsen würde ich immer noch sagen, geh zu Deiner Hausärztin und sag zu ihr, Du willst eine Überweisung zur Psychotherapie (so hab ich es (wg. Depressionen) gemacht und sie auch gekriegt, wenn auch dann nicht genutzt). Denn je nachdem wie stark Deine Sucht wirklich ist, wird unsere Schreiberei hier Dir nicht genügend Unterstützung geben um davon loszukommen.
Natürlich belastet es Deinen Freund, wenn Du Dich ritzt! Schließlich liebt er Dich! Wärest Du für mich nicht im Prinzip eine Fremde würde es mich auch belasten. Und es ist erst vielleicht zwei Jahre her, da hätte ich soetwas gar nicht machen können in dieser Intensität, weil ich den notwendigen inneren Abstand nicht hätte halten können. (Und ich würde mich momentan auch bestimmt nicht auf einen zweiten derartigen Kontakt einlassen.) Würde Dein Freund leiden und das immer wieder, dann würde es Dich doch auch belasten, oder?
Ich kann Dir nicht sagen, wie Du mit Deinem Freund umgehen sollst. Ich kenne ihn nicht, ich weiß nicht, wie stabil eure Beziehung ist und wieviel er an Belastung aushält. Verheimlichen halte ich auch für keine gute Idee, aber ich sehe wie Du das Risiko, dass es ihm irgendwann zuviel wird. Sag ihm am besten, dass Du genau das befürchtest. Und er soll Dich nicht ausschimpfen, wenn Du es nicht schaffst, nicht zu ritzen, sondern Dir Mut machen, dass Du es schaffst. Er kann Dir ja auch Belohnungen in Aussicht stellen. Vielleicht gibst Du ihm das alles, was wir hier geschrieben haben ja auch mal zum Lesen? Wäre aber ziemlich mutig! Wenn ihr das zusammen durchsteht, dann wird euch das evtl. auch umso mehr zusammen schweißen.